· 

(No) Surrender - Bloß weg hier!

Verpisst euch! Nein, halt, das ist dann doch zu harsch. Aber, in drei Gottes Namen: Was wollt ihr hier? Ihr Hipster, ihr jungen Männer mit den akkuraten Bärten und den schmissigen Undercuts, ihr jungen Damen mit den nachhaltigen Turnschuhen, all ihr jungen Menschen mit eurer Event-Manie bei herabgesetzter Begeisterungsfähigkeit.

 

Mein Freund B und ich waren im Sommer beim Bruce-Springsteen-Konzert in Hamburg, nicht unser erstes, hoffentlich nicht unser letztes. Das Wetter war vorhersagewidrig schön, unsere Stimmung ausgelassen; die Beine waren schwofgeneigt; die Arme drängten himmelwärts; Sänger und Band unterhielten gewohnt stark, auch wenn man hier und da erste altersbedingte und, ja: -gerechte Bewegungsauffälligkeiten bemerken konnte.

 

Und dann rundum zahlreiche junge Menschen. Als Best Ager freut man sich ja ausnehmend, wenn sich nachfolgende Generationen für Boomer- und Generation-X-, ja überhaupt für Musik jenseits plattformkuratierten R&Bs interessieren. Aber wer zu einem solch hochgradig nachgefragten Konzert geht, die Preise algorithmisch in die Höhe treibt und anderen damit den Zugang erschwert, der sollte doch bitte begeisterungsfähig, -willig, ach was:  –versessen sein. Und die Daseinserfüllung nicht darin sehen, sich möglichst häufig selbst mit Bühne oder Künstlern im Hintergrund abzulichten, ständig das Publikum – auch das natürlich wieder mit dem Rücken zur Bühne – abzuscannen und gelegentlich mit dem rechten oder gar – das sind die ganz Verrückten – dem linken Fuß zu wippen. Foto gemacht, gepostet, been there, done that. Ich instagramme, also bin ich.

 

Das Hamburger Publikum glaubt ja von sich selbst, weltweit eines der besten zu sein. Dabei bemerken doch zahlreiche namhafte Künstler regelmäßig, dass die Hanseaten bei jedem Konzert, ach was: bei jedem Song aufs Neue gewonnen werden müssen. Selbst die eingefleischten Fans beim Hamburger Springsteen-Termin müssen erst mühsam entflammt werden, sind dann aber grundsätzlich ausdauernd ausgelassen. Mit denen kann man steil gehen, wenn auch mit gehörigem Anlauf.

 

Es gilt auch hier: Je oller, je doller. Es ist überhaupt ein Vorzug fortschreitender Betagung, dass es sich altersproportional unbeschwerter feiern lässt. Kein Vergleich zu dem verkrampften, bockbeinigen Zögern am Tanzflächenrand bei den zahlreichen Hochzeiten, zu denen man als Spätzwanziger und Dreißiger jährlich eingeladen wurde. Gott behüte, dass man da mal zu einem uncoolen Song uncool tanzt. Distinktion schlägt das Partyglück der Brautleute. Der DJ hat sich unseren Hüftschwung gefälligst zu verdienen und wird beim ersten Fehlgriff stante pede (sic!) mit Tanzbodenflucht bestraft.

 

Wenn man das Balz- und Imponieralter erst mal hinter sich hat, die Kinder aus dem Gröbsten oder gar ganz aus dem Haus raus sind, die Körpersilhouette ohnehin nicht mehr ganz randscharf ist, dann kann man sich beim Feiern völlig ungeniert enthemmen. Und das tun wir Best Ager dann auch. Da wird alles weggetanzt, was einem der DJ oder schlimmstenfalls eine Playlist vor die Füße spielt. Wir waren vor einer Weile bei einem Gartenfest in der deutschen Botschaft. Die meisten Gäste waren irgendwo zwischen 40 und 60, sommerlich schick zurechtgemacht – und dann geschlossen (einschließlich Botschafterpaar) auf der Tanzfläche vor einer erstaunlich unkonventionellen Life Band durchgängig außer Rand und Band. Scheiß auf „cool“!

 

Aber zurück ins Stadion und den Event-Touristen bei Springsteen, den deutsche Medien schon in den 80ern um seine „Born In The USA“-Platte herum sinnigerweise Altrocker nannten. Am schlimmsten waren im Volksparkstadion zwei Gruppen. Zum einen war da die Familie des Reeders. So haben B und ich jedenfalls das Alphatier der Truppe ob seiner Aura genannt, auch wenn er keine rote Hose, sondern eine in jeder Hinsicht (Anlass, Schnitt und sonstiger Habitus) unpassende Jeansbermuda unter seinen Pfeffersackwanst gezwängt hatte. Sein Sohn trug einen dieser eingangs beklagten Designerbärte, ein gestreiftes Hemd (ja, ein gestreiftes Hemd bei einem Rockkonzert!) und unter seiner unbeeindruckten Visage bereits im Ansatz das feiste Antlitz seines Vaters, das in den nächsten 20 Jahren sein Gesicht vollständig übernehmen würde. Die Tochter des Reeders hatte ihren Freund mitgebracht, ein Mäuschen, das sich artig verhielt und offensichtlich nichts zu sagen hatte – gemeint ist der Freund, nicht die Tochter, die platzte geradezu vor Selbstgefälligkeit.

 

Ob die Familienverhältnisse wirklich so waren? Keine Ahnung. Das haben B und ich uns so zusammengereimt. Die Truppe ließ sich von den Musikern auf der Bühne nicht beim Sich-Selbst-Gefallen stören, scannte nahezu ununterbrochen die Menge ab und schien am Geschehen auf der Bühne ohnehin kein größeres Interesse zu haben. Uns gingen sie in ihrer Blasiertheit derart auf den Nerv, dass wir uns irgendwann von unserem wunderbar zentralen Platz wegbewegten, um ihrer nicht länger ansichtig sein zu müssen.

 

Nur um in den Dunstkreis anderer Verhaltensauffälliger zu geraten, einer Gruppe von französischen Twens (sagt man das noch so? ich sag das noch so). Die Gruppe war in Dauerekstase, bekreischte und beklatschte jeden Ton und feierte unablässig – sich selbst. Uns schien der Zweck des ganzen Frenetisierens einzig darin zu bestehen, sich gegenseitig fotografieren und dann mit den Fotos auf Instagram renommieren zu können. Ekstase ist uns natürlich weitaus lieber als Blasiertheit; irgendwie war die Truppe in ihrem welpenhaften Überschwang trotz allen Social-Media-Kalküls sympathisch.

 

 

Trotzdem erschien es ratsam, uns mit Bier in die Gleichgültigkeit gegenüber unserem Umfeld zu trinken. Nach 20 Minuten in der Schlange war ich endlich dran und wurde Zeuge, wie das Personal vor meinen Augen einen Kartonfetzen mit „Bier ist aus“ beschriftete und dann behelfsmäßig am Stand befestigte. „Wegen Reichtums geschlossen“? Oder Servicewüste Deutschland? Freund B trieb dann an einer anderen Bude doch noch ein paar Becher Bier auf, die wir mit zwei Jungs um die 20 teilten. Die beiden waren angenehm heiter, ehrlich begeistert und begnügten sich mit einem einzigen Foto, das wir von ihnen zu machen anboten. Als B das Foto machte, schmuggelte er noch rasch ein Selfie von uns beiden (ich erst- und letztmals im „HUGO“-T-Shirt, dessen Ironie sich aber wohl niemandem erschloss) dazwischen. Das hatten sie sich redlich verdient. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0