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Klein-Kunst

Fritz Wepper ist tot. Horst Tappert sowieso (†2008 mit 85 Jahren), aber auch Volker Lechtenbrink (†2021 mit 77), Stefan Wigger (†2013 mit 80), Gert Burkhard (†2004 mit 64), Philipp Brammer (†2014 mit 44), Günter Clemens (†2016 mit 75), Gabriele Dossi (†2021 mit 73), Willy Schäfer (†2011 mit 78) und Gaby Herbst (†2015 mit ~70). Tragisch viele Frühverstorbene darunter. Sie alle haben in der Derrick-Folge „Einen schönen Tag noch, Mörder“ aus dem Jahr 1996 mitgespielt. Nur Natali Seelig, geboren im Edeljahrgang 1970, ist noch am Leben.

 

Besagte Derrick-Folge habe ich mir, nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, kürzlich angeschaut, nachdem ich von Fritz Weppers Tod erfahren hatte. Und was soll ich sagen: Die alten Derrick-Folgen sind nicht so mittelprächtig, wie wir sie in Erinnerung haben. Sie sind – with all due respect, de mortuis nil nisi bene usw. – weitaus schlimmer. Wer heute Gebührenverschwendung der Öffentlich-rechtlichen beklagt, müsste sich verzweifelt auf den Boden werfen und in die Auslegeware beißen angesichts der filmischen und darstellerischen Minderleistungen, die ein solch handelsüblicher Freitagskrimi dem Publikum zumutete. Hölzerne Darstellerei von entweder unter- oder überforderten Schauspielern, sperrholzige Kulissen, dürftigste Ausleuchtung, ein lachhafter Stunt, vor allem aber: ein Drehbuch, das Herbert Reinecker, Autor von 281 (in Worten: zweihunderteinundachtzig) Derrick-Folgen, mithilfe einer Frühform künstlicher Intelligenz aus seinen vorherigen Werken zusammengeklöppelt haben muss.

 

Besonders bizarr ist, dass Derrick und Assistent Klein jede Art von echter Ermittlungsarbeit beharrlich unterlassen. Der Buchhalter einer Baufirma, Hans Dannhof (G. Burkhard), stirbt beim Sturz in eine Baugrube. Die Herren Kriminalisten ignorieren sowohl die hinweisträchtige Aktentasche als auch den Computer des Opfers, befassen sich nicht mit der Baufirma und ihren Finanzen und unternehmen auch sonst keinerlei Anstrengungen, den Sachverhalt oder gar etwaige Motive zu erforschen. Sie haben schon zu Beginn und zurecht den Chef der Baufirma Walter Kottler (V. Lechtenbrink) im Verdacht, den Buchhalter in die Tiefe gestoßen zu haben, und vermuten, wiederum zurecht, dass seine Tat von Mitarbeitern beobachtet wurde, nun aber verschwiegen wird. Dass Kottler seinen Buchhalter Dannhof loswerden wollte, weil dieser die prekäre finanzielle Lage der Baufirma in Finanzierungsgesprächen nicht länger verschleiern wollte, bringen Derrick und Klein so gar nicht erst in Erfahrung.

 

Vielmehr ziehen sie einen Ermittlungsansatz vor, der im Wesentlichen darin besteht, dauernd zwischen den Beteiligten hin- und herzufahren, und zwar im 7er BMW, der einem Oberinspektor in München selbstredend als Dienstwagen zur Verfügung steht – wie ja auch Richter und Staatsanwälte im deutschen Fernsehen stets in Villen wohnen und dicke Limousinen fahren, eine geradezu perfide Verhöhnung des Bundesbesoldungsgesetzes und der tatsächlichen Einkommensverhältnisse unserer Strafverfolgungsorgane.

 

Die weitgehend sinnfreien Befragungen der Beteiligten folgen keiner erkennbaren Strategie, sondern sollen wohl Derricks psychologisches Geschick beim, Verzeihung: Tappern im Dunkeln zeigen. Dabei ist Derrick mal besonders barsch, mal erlaubt er dem Sohn des Mordopfers großzügig („ja, natürlich!“), an einer Zeugenbefragung teilzunehmen. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Tochter des Mordopfers. Sie wird gespielt von der eingangs erwähnten Überlebenden Natali Seelig, die ihre Rolle minimalistisch anlegt: sie sagt so gut wie nichts, guckt betroffen und schutzbedürftig und trägt zum Handlungsfortschritt nichts bei, sondern überlässt ihrem Bruder den Aktionismus – geschlechtsstereotyper geht‘s nicht, es waren andere Zeiten.

 

Am Ende wird der Täter nicht wirklich durch die Sheriffs überführt, sondern dadurch, dass ein Zeuge zur Besinnung kommt und bestätigt, dass Kottler/Lechtenbrink der Täter war. Wieso die Folge „Einen schönen Tag noch, Mörder“ heißt, bleibt im Ungefähren.

 

In all das Kopfschütteln über diesen Schmarrn mischt sich aber auch immer wieder ein selig-sentimentales Schmunzeln. Da ist nicht nur die Erinnerung an die wenigen Jahre, in denen man reif genug war für Freitagabendkrimis, aber noch nicht reif genug, um die Freitagabende auf der Piste zu verbringen. Man feiert Wiedersehen mit Schauspielern (Burkhard, Clemens, Wigger), die einen – zumeist in Nebenrollen – durch eine Fernseh-Kindheit in den 80er Jahren begleitet haben; staunt über Derricks übergroße Sakkos, sein auffälliges Haarteil und seine wagenradgroßen Brillengläser, die seine bekannt auffällige Augenpartie zusätzlich betonen; man erinnert sich wohlig schaudernd an Harry Kleins Nackenspoiler und seinen Wildlederblouson, ein Kleidungsstück, dessen Name mit seinen Trägern ausgestorben zu sein scheint. Das Teil war ohnehin nur mit Dunhill-Duft und an Klein, seinem Kollegen Matula oder Rentern mit Verlaufssonnenbrille und Bundfaltenjeans denkbar, die sich nach dem samstäglichen Einkauf ein Bier an Stehtischen vor der lokalen Hausbrauerei gönnen.

 

 

Fritz Wepper durfte ich in den Neunzigern auf einer privaten Geburtstagsfeier aus der Distanz als tatsächlich nicht sehr körpergroßen, aber angenehm unprätentiösen und tanzfreudigen Sympathen kennenlernen. Dass er mehr kann als das Schauspiel-Limbo der Derrick-Folgen, weiß man durch sein Wirken in Großkunstwerken wie „Die Brücke“ oder „Cabaret“. Das Trauerspiel der 256. Derrick-Folge lässt er geduldig und weitgehend unbewegt über sich ergehen. Er hat sich in seiner Rolle als Harry Klein ja bekanntlich nie von Derrick den kolportierten Satz „Harry, fahr schon mal den Wagen vor!“ sagen lassen müssen. Tatsächlich sagte Derrick gleich in Folge 2: „Harry, wir brauchen den Wagen, sofort!“ Derart konditioniert, stößt sich Klein auch 254 Folgen und 22 Jahre später nicht daran, dass Derrick zu ihm sagt: „Ich habe Durst! Haben wir was zu trinken da hinten?“ und dabei mit dem Kopf in Richtung des unmittelbar hinter ihm, Derrick, stehenden Kühlschranks nickt. Klein antwortet: „Ja, sicher!“, springt auf und bringt seinem Boss ein Glas Sprudelwasser. Eine Apotheose der Klein-Kunst.

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